14.11.2015

IS-Audiobotschaft: "Islamische Staat" eindeutig hinter Paris-Anschlägen?


Die Anschlagsserie in Paris, die an die Attacke auf Mumbai 2008, aber auch an die langlaufende Kampagne der "Balcombe Street Gang", eine IRA-Zelle, die London 1974 / 1975 terrorisierte, gemahnt, hat die Welt erschüttert. Mittlerweile gilt als mehr oder weniger gesichtert, dass es sich um eine Aktion des "Islamischen Staat" handelt, der sich mit dieser großangelegten "Killing Spree"-Operation für die französische Teilnahme an der Militärkoalition gegen ihn rächen möchte. Staatspräsident François Hollande spricht von "Krieg", Spekulationen über einen möglichen NATO-Bündnisfall kursieren.

Der 13. November 2015 würde Experten wie Guido Steinberg wiedersprechen, die al-Qaida nach wie vor für die größere Bedrohung für Europa einschätz(t)en. Dies zum einen, weil der IS hinreichend in der arabischen Welt und vor allem natürlich in Syrien und im Irak mit der Konsolidierung und Expansion seines "Kalifats" beschäftigt ist. Zum anderen, weil der IS eine andere Strategie verfolgt als al-Qaida, die verstärkt auf eine terroristische Zermürbung der "fernen Feinde", des Westens (u. v.a. der USA) als Stütze und Komplize der "glaubensverräterischen" Regime in der Region, hinarbeitete. Dies eben mit aufsehenerregenden Anschlägen wie natürlich und v.a. 11.-September-Anschlägen. Der IS hingegen setzte und setzt auf eine "Clear-and-Hold"-Methode: Kontrolle gewinnen über ein Gebiet und das Schaffen von Fakten darin - eben der Errichtung eines "Islamischen Staats", der bei AQ Langfristziel ist.

Allerdings mögen die Täter vielleicht im Namen des IS gehandelt haben (was noch zur Zeit noch nicht wirklich bestätigt ist). Das bedeutet jedoch noch lange nicht, dass der IS selbst direkt hinter der Paris-Attacke - vor allem federführend - steht.

Vielleicht liegen den Sicherheitsbehörden bereits weitere, bestätigende Informationen vor - solche, die (noch) nicht das Licht der Öffentlichkeit erblicken dürfen. Auch hat man mit Salim Benghalem bereits einen notorischen IS-Kämpfer als potenziellen Hintermann im Visier. Und natürlich sind in puncto Ausmaß, Vorbereitung (die Planung) und Mitteln (der Einsatz von Sprengstoffgürteln neben den AK-Sturmgewehren; die Anzahl der Täter) die Angriffe auf das Stade de France, der tödliche Zug durch die Stadt und das Massaker im Bataclan-Klub wenig vergleichbar mit den "Lone-Wolf-"Attacken in Frankreich, in Australien oder in Paris im Februar (gemeint ist nicht das "Charlie Hebdo"-Attentat; dies war eben eine von jemenitischen al-Qaida-Filiale initiierte Tat). Gleichwohl ist nach wie vor nicht auszuschließen, dass es sich hier um eine vielleicht unterstützte, nichtsdestotrotz relativ eigenständig agierende Gruppe handelte, die ohne (zumindest: Detail-)Wissen und Einsatzauftrag durch die IS-Spitze um Abu Bakr al-Baghdadi alias Kalif Ibrahim gemordet hat. Oder die vielleicht doch eher Kontakte zu "al-Qaida auf der arabischen Halbinsel" hatte...

Das Statement des IS zum terroristischen Simultan-Angriff auf Paris, der mittlerweile als Beleg dient, ist jedenfalls nur ein dünner Beleg für Verantwortlichkeit (um nicht zu sagen "Urheberschaft"). Die Audiobotschaft, die auf arabisch und englisch vorliegt (in letzter Variante eingesprochen von dem gleichen englischsprachigen Off-Kommentator der meisten al-Hayat-Media-Videos, jenen Propagandafilme, die sich gezielt an ein westliches Publikum richten) und die als Trankskript nun im Netz zirkuliert, spricht von den Paris-Tätern allgemein nur als "Brüdern". Weitergehend reklamiert der IS die von IS-Fans in den Sozialen Medien gefeierte Aktion für sich nicht.

IS-Fan-Tweet zu den Paris-Anschlägen am 13. November

Zudem führt die Botschaft nur recht allgemeine Informationen auf, die in der Form ein wenig klingen, als habe die IS-Propagandaabteilung selbst sich maßgeblich an den internationalen Online-News-Feeds ad hoc bedient. Gerade wenn bzw. weil die Anschlagsserie von längerer Hand geplant und vorbereitet worden sein muss, würde man eventuell in Sachen Bekennerschaft eine gleichsamt größer vorbereitete mediale Ausschlachtung erwarten. Nicht zuletzt eine, die mit mehr Details und mehr "Stolz" über den Schlag gegen die "Kreuzzügler"-Nation aufwartet.

Und tatsächlich wird in dem Audiobotschaft zwar angesprochen, dass Frankreich und andere Staaten gegen den Islamischen Staat (wie den Islam überhaupt) zu Felde zögen und sie damit auf der Zielliste des IS stünden - entsprechend sei Paris eine Warnung für alle "who whish to take heat". Doch sonst nichts macht die Verlautbarung zu einer Selbstbezichtigung - vor allem wenig Konkretes.

Entsprechend lässt sich - wie die freudigen Kommentare und Bilder des IS-Sympathisanten auf Twitter und Co. - die IS-Veröffentlichung vor allem und in erster Linie lesen als Begrüßung einer Terrortat, einem fürchterlichern "Erfolg" in Namen des IS, auf den den der IS hier womöglich nach den Luftangriffen auf die Öl-Felder in seinem Territorium vor allem aber selbst aufsattelt.

Etwas, wobei ihm nicht zuletzt die Medien vielleicht ein wenig zu vorschnell behilflich sein könnten,

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Auch wenn ich aus mehreren und offensichtlichen Gründen sonst davon absehe, hier Propaganda und sonstige Materialen aus IS- u. IS-assoziierten Quellen zu verlinken, sei hier angesichts der aktuellen Spekulationen über Hintergründe und Hintermänner von Paris und in Zusammenhang mit obigen Überlegungen (gegen die es durchaus vieles einzuwenden gäbe) auf die angesprochene Audio-Botschaft als Artefakt verwiesen. Sie finden diese - zumindest noch zu diesem Zeitpunkt direkt HIER auf archive.org.

Ein Transkript finden Sie HIER.

12.11.2015

BMVg-Bericht zur Veranstaltung "Hybride Kriege"


Schon etwas älter, aber jetzt erst entdeckt:

Bericht auf der Website des Bundesverteidigungsministeriums über die Podiumsdiskussion zum Thema "Hybride Kriegen - Die Ohnmacht der Gegner" des zebis (Zentrum für ethische Bildung in den Streitkräften), bei der ich als Fachmann für Online-Propaganda u.a. neben Prof. Herfried Münkler, Christian Mölling von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) und Dr. David Wetham  teilnehmen durfte:

"Hybride Kriege: Bleibt uns nur die Ohnmacht?" von Florian Manthey


Bild: BMVg / Manthey