08.01.2015

"Charlie Hebdo"-Anschlag: "Open Source Jihadis" oder Heimkehrer?


Ziemlich genau, als ich für die Heimfahrt den ICE in Berlin bestieg, nach meinem Termin am  Dienstagabend, stürmten verummten Jihadisten die Redaktion der Satire-Zeitung "Charlie Hebdo" in Paris.

Mittlerweile scheinen die Täter identifiziert zu sein. Eine Augenzeugin vor Ort wie auch die Ergebnisse der Staatsanwaltschaft deuten auf eine Verbindung in den Jemen hin - sprich zu "al-Qaida auf der arabischen Halbinsel" (AQAP).

Zuvor war noch spekuliert worden, ob nicht die Terrormiliz "Islamischer Staat" hinter dem Anschlag stecke. Tatsächlich wurde vergangenen November ein Video aus der Medienabteilung "al-Hayat Media Center" veröffentlicht, in dem gezielt um französische Mitstreiter bzw. den Aufbruch ins "Kalifat" geworben wurde (siehe etwa HIER). Hauptbegründung war allerdings die Teilnahme Frankreichs an den Militäreinsätzen gegen den IS.

Während in den den Sozialen Medien sich die konkurrierenden Anhänger von IS und AQAP noch freuten, dabei aber es nicht schafften, gegenüber den Verurteilungen der Attacke und den Stimmen der Solidarisierung mit den Opfern die Twitter-Hoheit zu erlangen, hat man auch in den berichtenden Medien versucht, über die Propaganda von AQAP sowie des IS Spuren für die Täter-Assoziation, wenn nicht der Vorankündigung der Tat zu finden.

So kam man etwa bei Slate auf eine Ausgabe des Hochglanz-AQAP-Magazins "Inspire", das per PDF auch in englischer Fassung übers Web verbreitet wird. Darin wird unter der höhnenden Überschrift "Yes we can" ("A bullet a day keeps the infidels away. Defend Prophed Muammad peace be upon him") zum Mord an "Charlie Hebdo"-Chefredakteur Stéphane Charbonnier aufgerufen, der bei dem Überfall auf die Redaktionssitzung sein Leben ließ.

Allerdings ist er nur einer unter anderen auf dieser "Wanted"-Liste - neben Karrikaturist Kurt Westgaard (einer der Zeichner der dänischen Mohammed-Karrikature, auf den ein, vereitelter, Anschlag 2010 erfolgte), Salman Rushdie, Lars Vilks, aber auch Gert Wilders und - ganz prominent dieses stilisierten Aufrufs - der islamfeindliche US-Pastor Terry Jones, dem ein Kopfschuss anretuschiert ist (s. Abb.).

AQAP-Hetze im Magazin "Inspire" aus dem Jahr 2013

Radikalislamisten jeglicher Fraktion sind Jones, Westergaard und die anderen verhasst. Auch findet sich dieser sarkastische Hetzbeitrag in der "Inspire"-Ausgabe Nr. 10, erschienen 2013 (siehe dazu auch hier), ist also schon älteren Datums und damit wenig indizientauglich.

Interessanter ist in dem gestalterisch professionellen Heft denn auch eine "Anzeige" für "Lone-Mujahid" einige Seiten weiter. Vor einer nächtlichen Großstadt ist eine gesichtslose Gestalt im Hoodie mit der Aufschrifft "man jihad alone" und Kalashinkow-Piktogramm zu sehen (s. Abb.).  

aus dem Magazin "Inspire" (2013)
Bemerkenswert ist das, weil praktisch mit derselben Pop- und Subkultur-Underdog-Ikonografik der Spiegel seinen Aufmacher zum Thema "Dschihad-Kult" vergangenen September illustrierte, in dem man sich vor allem Dennis Cuspert und seiner Entwicklung vom Gangsta-Rapper "Deso Dogg" zu Abu Talha al-Almani widmete:

SPIEGEL-Titel 47/2014
Inhaltlich wiederum verweist der "einsame Heilige Krieger" auf ein Sonderheft, in dem spezielle Texte vorheriger "Inspire"-Ausgaben unter dem Titel "Lone Mujahid Pocketbook" zusammengefasst wirden: Es finden sind darin Ideen und Anleitungen für einen Sabotage- und Guerilla-Kampf nicht in auf dem "Boden der Ehre", sondern daheim im Westen, in den Ländern der kuffar ("Well, there's no need to travel abroad, coz the frontline has come to you"). Allerdings ist auch hier nicht von bewaffneten Mordkommandos die Rede, sondern mit klarem US-Zielbezug etwa von Waldbrandstiftung, Zerstörung von Gebäuden oder dem Anzünden von geparkten bzw. Anschlägen auf fahrende Autos.

Dieses 64-seitige Pocketbook ist ausgewiesen als "OSJ Special". "OSJ" steht für "Open Source Jihad", die Strategie AQAPs, die auf individuelle Aktionen setzt, damit mehr Eigenständigkeit qua Zellen oder "lone wolfs" in den Feindländern setzt statt sorgfältiger und durch die Hierarchien hindurch geplante Anschläge der Kern-AQ, die in ihrer teils aufwändigen Planung und Ogranisation leichter zu entdecken und zu vereiteln sind. Der Begriff des OSJ selbst wurde dabei durch "Inspire" geprägt und verbreitet. Die Web-2.0-Charakteristik des Terminus ist dabei beredt.

"Die Strategie des 'individuellen Jihad' war im Sommer 2010 neu und aufsehenerregend. Inspire befand sich damit im Widerspruch zur damaligen Vorgehensweise der Al-Qaida-Zentrale in Pakistan", so Florian Peil [1]. "Bekanntgegeben wurde die Strategieänderung aber erst im Juni 2011, als al-Qaida ein wegweisendes Video veröffentlichte. Darin kamen mehrere Führungspersönlichkeiten der Organisation zu Wort, die ihre Anhänger offiziell zum individuellen Kampf aufforderten" (ebd.).

Wenn nun die als Attentäter von Paris verdächtigen Hamyd M. (UPDATE: diese hat sich jetzt gestellt und womöglich für die Tatzeit ein Alibi), Said Kouachi und sein Bruder Cherif Kouachi Vertreter eines solchen "Open Source Jihadismus" sind, handelt es sich hier weniger um einen Fall von Heimkehrern, vor denen beispielsweise Experte Peter R. Neumann in der Sondersendung Hart aber fair extra warnte und die generell mit Blick auf den gegenwärtigen Syrien-/Irak-Konflikt und seine "foreign fighters" als sich abzeichnendes großes Sicherheitsproblem auch hierzulande gelten. Ein weiterer Aspekt entfiehle, der den "Charlie Hebdo"-Anschlag mit dem Bürgerkrieg in einen engen Diskussionszusammenhang stellen würde.

Noch ist natürlich wenig gewiss - auch die definitive Täterschaft -, und überdies gibt es Ungereihmtheiten. So wird den Terroristen Professionalität bei ihrem blutigen Vorgehen attestiert (etwa hier), andererseits deuten die kursierenden Informationen zu den Verdächtigen (z.B.: hier) nicht darauf hin, dass sie im Nahost-Krisengebiet eine militärische Ausbildung absolviert haben.

Egal aber, welche Erkenntnisse sich in den kommenden Tagen und Wochen ergeben, sie werden fraglos die politischen, gesellschaftlichen und sicherheitstechnischen Vorstellungen von, Reaktionen auf und Diskurse zu Terrorismus(bedrohungen) in den kommenden Jahren mitbeeinflussen. Auch die medialen.


zyw


Literatur:

[1]: Peil, Florian (2012): "Inspire": Das Jihad-Magazin für die Diaspora. In: Guido Steinberg (Hg.): Jihadismus und Internet. Eine deutsche Perspektive. Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik, S. 32-44, hier: S. 33.


07.01.2015

Lesetipp: Sebastian Baden zum "Bild als Terrorwaffe"


Sebastian Baden lehrt als Mitarbeiter an der HFG Karlsruhe, ist Vorstandsmitglied im Netzwerk Terrorismusforschung e.V. (NTF) und hat zum Thema Image des Terrorismus im Kunstsystem promoviert.

In der Zeitschrift Chrismon (12/2014) fand sich jüngst mit ihm ein Interview über das terroristische Bild bzw. die Bildwirkung und -wesenheit von Extremistenpropaganda.

Sie finden das Gespräch als pdf-Datei HIER auf der NTF-Website.