07.09.2013

HENNESSY (1975) - Prototyp des tragischen irischen Terroristen


In meiner Doktorarbeit, die ab Mitte Oktober veröffentlicht werden "darf", ist auch von Don Sharps Film HENNESSY aus dem Jahr 1975 die Rede. Der v.a. in den 1960ern populäre Rod Steiger (Oscar-Gewinner für seine Rolle als rassistischer Sheriff in IN DER HITZE DER NACHT von 1967) spielt darin einen apolitischen Nordiren, der durch den Tod von Frau und Tochter radikalisiert einen Anschlag auf die britische Königin plant und dabei sowohl von der IRA wie von den Briten gestoppt werden soll.

Die Figur des Hennessy ist ein frühes Beispiel dafür, wie der Nordirlandkonflikt und vor allem ein bestimmter Typus des IRA-Kämpfers politisch austariert konstruiert wurde, um sowohl die Gewalt der radikalen Republikaner ablehnen zu können, wie ihnen in ihrer Motivation zugleich eine gewissen Nachvollziehbarkeit in ihrer militanten Gesinnung zuzusprechen (und damit eine Art Entgegenkommen oder zumindest Verständnis zu signalisieren). Schnell wurde der Film, wie das obige Plakat zeigt, zu einem "cause célèbre" stilisiert, sah sich freilich in Großbritannien tatsächlich auch der Zensur unterworfen. Ein Hinweis auf die Brisanz, die in jener Zeit bzw. der konfliktpolitischen Situation solchen heute relativ harmlosen Filmen zukam.

So ist es insbesondere nach der Kriminialisierungsstrategie unter Thatcher eine individuelle "grievance", die in den bisweilen bürgerkriegsähnlichen Zustände in Ulster zur individuellen, psychologischen Leiderfahrung singularisiert beigemessen wurde, und die als Motor für die Handlungen der Radikalen herhält. Sie erklärt sie zu Opfern, die zu Tätern werden - der unselig (und relativ unpolitische) Kreislauf der Gewalt als dramaturgisches Grund- und Begründungsmodell. Bis in die Gegenwart hinein, aktuell mit SHADOW DANCE (dazu hier demnächst mehr) ist dies eine gültige, konventionelle und quasi-versöhnliche Dramaturgiestruktur. Eine, die sich auch im Bereich der Post-9/11-Filme zum Thema islamistischer Terrorismus in Kino und TV-Serien (HOMELAND, SLEEPER CELL) etabliert hat, nicht zuletzt, weil sie eine gewisse Ausgewogenheit impliziert.

HENNESSY selbst ist beachtlich, weil der Film schon relativ früh - gerade mal drei Jahre nach dem bedeutungsschweren "Blutsonntag" in Londonderry, bei dem britische Soldaten auf katholische Demonstranten schossen - auf dieses Erklär- und Erzählmodell zurückgreift, und es mit außerordentlicher Mühe (oder aber: "Sensibilität") ausbuchstabiert. So werden die tödlichen Schüsse, denen Hennessys Frau und kleine Tochter zum Opfer fallen, als (halber) Unfall gezeigt. Es ist die Folge einer Konfrontation zwischen Steine werfenden Demonstranten und den Militärs. Beiden wird eine Art Gleichrangingkeit zumindest insofern zugestanden, als sie auf dem selben Level operieren. Die Sicherheitskräfte mit ihren Plexiglasschilden sind relativ gut geschützt, verhalten sich besonnen. (Deutlich wird hier: es handelt sich um ein primär britische Produktion). Erst als ein radikaler Heckenschütze (zu lesen als kühl-militante, auf Eskalation ausgerichtete Provisional-IRA) bezeichnenderweise von der Seite her auf die Uniformierten schießt, fällt der Soldat zu Boden und feuert unfreiwillig in die Menge. Dass und wie dies ein Unfall ist, macht der Film noch deutlicher, indem der junge Soldat selbst fassungslos auf das Leid blickt, das er angerichtet hat. Und - zur endgültigen Verdeutlichung der Heimtücke der Terroristen, die nur sehr bedingt mit den Protestierenden zu tun haben, die ihm selbst indirekt zum Opfer fallen - wird ihm, drastisch inszeniert, in den Kopf geschossen. Bemerkenswert auch, wie Hennessy und seine Familie auch räumlich betont als Uninvolvierte gezeigt werden (während ansonsten die katholischen Zivilisten bis hin zu den Hausfrauen als antibritisch skizziert werden).

Dies ist so einerseits platt, wie anderseits symbolisch hochwertig. Erinnert sei daran, dass die britischen Truppen tatsächlich in Nordirland zur Befriedung der Situation zwischen Protestanten und Katholiken eingesetzt wurden - und dabei anfangs in katholischen Communities entsprechend begrüßt wurden (wobei die "alte" IRA erheblich an Einfluss verlor). Dass nun die britischen Soldaten nur durch gemeine Attentate ungerechter Weise zum Aggressor werden, ist natürlich eine Mitte der 1970er Jahre eminent politisch tendenziöse Sichtweise. Zugleich verweist sie aber auf die reale Asymmetrie-Problematik, die bis in die Gegenwart hinein - etwa die von einem Bundeswehroffizier angeordnete Bombardierung von zwei Tanklastzügen in Afghanistan mit über hundert zivilen Opfern als Folge - aktuell ist und bleibt: Wie verbleibt eine Friedenstruppe als eben solche, wenn es Extremisten auf Eskalation angelegt haben; wenn der "Goliath" sich nicht wehren kann, die Attacken des "David" auszuhalten hat, weil jede Gegenmaßnahme gegen ihn gewendet werden kann?

Der Film HENNESSY, auch wenn er in vielen Filmtexten zu dem Thema Nordirlandkonflikt genannt wird, ist - leider - einer, der bisweilen mit "B-Movie"-Stempel versehen, filmisch interessant, aber heute praktisch kaum mehr verfügbar ist. Es gibt bislang keine DVD-Auswertung, und nur sehr sporadisch tauchen VHS-Kaufkassetten bei Amazon und anderen Plattformen zum Verkauf (auch in der deutschen Fassung unter dem leicht dümmlichen Titel CODEWORT: HENNESSY) auf.

Umso dankenswerter ist es, dass der US-Sender TCM (Turner Classic Movies) zumindest die oben beschriebene Szene als eine von dreien auf seiner Website präsentiert (s.u.).

zyw

P.S.: Falls Sie den Film besitzen oder eine Bezugsquelle kennen, wäre ich sehr interessiert.