09.05.2013

TV-Tipp: HATUFIM (ab 9. März auf ARTE)


Ab dem 9. März präsentiert Arte donnerstags ab 21.00 Uhr die erste Staffel der Serie HATUFIM – dem „Vorbild“ des US-Hits HOMELAND.

Dabei hat HATUFIM (dt. etwa: „Verschleppt“) nicht gar so viel mit dem Hollywood-Pendant gemein: Während unter der Federführung von Alex Gansa und Howard Gordon HOMELAND vor allem von dem fintenreichen Terrorismus(-Paranoia-)Plot um einen (vermeintlichen) US-Marine-Soldaten und ehemaligen Kriegsgefangenen geht, der von einer Geheimagentin als „umgedrehter“, islamistischer Schläfer verdächtigt wird, steht bei HATUMFIM primär das Drama um die Reintegration von ehemaligen „P.O.W.“ des Nahostkonflikt im Mittelpunkt. In diesem „Nebenkriegsschauplatz“ geht es in der israelischen Serie um das, was nach der heroischen Rückkehr mit den gezeichneten, gar gebrochenen oder traumatisierten Soldaten passiert, wie sie wieder in den Alltag und in ihre Familie hinein finden müssen – oder eben nicht.

In HATUFIM sind es drei Familien, die auf die Ankunft ihrer Männer warten. Drei Frauen, und eine von ihnen bekommt ihren Mann nur im Sarg zurück. Trotzdem wird er, quasi als Geist und Abwesender, eine eminente Rolle spielen. 

Gerade dieser Auftakt zeigt nicht nur, wie sehr sich HATUFIM von HOMELAND in Zugang und Interesse an dem Thema, sondern auch, wie sich Konflikte, Kriege, ihre Wahrnehmung und Bewältigung unterscheiden. 

Ist Brody, der neue Vorzeige-Krieger, der sich daran macht, seinen Ruhm als Leidens- und Duldensmann im Namen des Vaterlands in eine politische Karriere umzumünzen, wobei ihn die psychisch kranke CIA-Agentin als heimlichen Radikalislamisten mit Anschlagsplänen beargwöhnt, gar bis ins Intimste bespitzelt, erzählt HATUFIM von einem schmutzigen Alltagskrieg, in dem die Befreiten zwar auch mit großem Medieninteresse begrüßt werden, hier aber weniger etwas "Wunderhaftes" haben. Keine Rettungsmission, keine Befreiung: am Anfang von HATUFIM steht eine langwierige, kleinteilige Verhandlung in einem anonymen und neutralen Frankfurter Hotel, bei der man Zettel zwischen den Räumen hin und her reicht.

Zu alt, zu verfahren und hässlich zeigt sich der asymmetrische Krieg, auch zu nahe der Feind, die Hamas, die Palästinenser, als dass man sie als zu einem solch fremdartigen Schreckgespenst machen könnte, wie es HOMELAND hinsichtlich der Radikalen tut (selbst wenn diesen auch in der US-Serie beunruhigend viel Logik zugeschrieben und relativ viel Verständnis hinsichtlich u.a. den Motivationen entgegengebracht wird).


Man kann folglich HATUFIM nicht als Vorläufer von HOMELAND sehen (schon gar nicht als unterentwickelter, unausgereifter!). Zum einen nicht aus dem Produktionskontext heraus: Gideon Raff, der in Los Angeles am American Film Institute studierte, entwickelte HATUFIM und HOMELAND quasi parallel, wobei sein Einfluss auf die US-Serie nicht allzu hoch eingeschätzt werden dürfte. 

Als Erzählungen selbst stellen beide Serien allerdings ein faszinierendes, sowohl widersprüchliches wie einander ergänzendes Paar vor: HOMELAND als packender Thriller, der seine Ambivalenz als Spannungsstory nicht zuletzt aus seinen gebrochenen, intensiven Genre-Charakteren, deren Handlungsverwicklungen und den Plottwists generiert, Plottwists, die in der Regel mehr sind sind als reine Verblüffungsmomente.

Und HATUFIM als Drama, als stille Tragödie, in einem Dauer-Konflikt, in einer (auch historischen) Situation, in der ein solches Spannungserzählen nicht mehr solch einen Sinn macht, in der es eine Normalität nicht mehr sonderlich zu behaupten (oder, auf der Handlungsebene zu „unterwandern“) gäbe. Dass es eine Situation ist, die selbst nicht hinreichend reflektiert, kollektiv verarbeitet und anerkannt wird, zeigt nicht nur der Massenerfolg von HATUFIM, aber auch die Kontroversen darum, um das Tabuthema der Kriegsheimkehrer, die über Jahre festgehalten wurden. Tausende meldeten sich nach der TV-Premiere in Israel, Soldaten, ihre Angehörigen, die endlich auch ihren weitgehend verschwiegenen, ausgeblendeten Kampf, das seelische und zwischenmenschliche Leiden als Tribut des großen politischen Konflikts reflektiert sahen. Eine zweite Staffel von HATUFIM ist entsprechend 2012 in Israel gelaufen, eine dritte angedacht.

HOMELAND und HATUFIM sind zwei unbequeme, moralisch nicht einfache und, nicht zuletzt und im besten Sinne, tieftraurige Stories, mehr noch: sind Weisen, Modi des Erzählens. In beiden finden wir das Familienelement, die Entfremdung, das Wiedereingliedern in eine längst und unwiederbringlich verlorene Normalität, deren Brüchigkeit und Fassadenbedeutung, in beiden ebenfalls, aber eben gleichfalls unterschiedlich (psychologisch) gewichtet: das Element des Verrats, des Überlaufens, des Misstrauens.

In HOMELAND jedoch geht es um die bittere Erkenntnis, wie „nah“ uns der Feind, das Böse, das scheinbar Unverständliche, das Radikale sein kann, wie sehr es doch unseren eigenen Dämonen entspricht und wie „lieb“ wir es dahingehend gewinnen können, ohne dass es dabei aufhört, uns heimzusuchen, sich als Gegner anzubieten, aufzudrängen, einen Gegner, den es mit allen Mitteln zu bekämpfen gilt – bei allen Opfern hier wie da.

HATUFIM hingehen berichtet – folgerichtig „unspektakulärer“ und ebenso logisch mit Augenmerk auf dem Privaten, dem Persönlichen und Individuellen – von dem, was bleibt und bleiben kann, wenn solch ein Kampf so inhaltsleer, unentscheidbar wie institutionalisiert bzw. als ein solcher offensichtlich geworden ist.

HOMELAND oder HATUFIM? Es fällt schwer, zu sagen, welcher Ansatz, welche Sichtweise und welche Weisheit der beiden Serien schrecklicher ist, mehr zu Herzen geht und weiser ist. HOMELAND ist Action, auch Aktionismus (auch weil drei Heimkehrer von HATUFIM quasi zu einer Figur verschmolzen wurden), HATUFIM eher Warten, Hoffen, Harren, Schweigen. 

HATUFIM - IN DER HAND DES FEINDES heißt Raffs Serie bei Arte in der deutschen Version, in der deutschen Erstausstrahlung. Vielleicht wäre diese Beisatz passender für die US-"Version", vielleicht ist er irreführend für beide Serien. Vielleicht aber ist er auch auf gewagte Weise klug: wenn man in der Interpretation die "Hand" und den "Feind" die geografischen, politischen und kulturell-identitären Seiten tauschen lässt ... 


Übrigens: HATUFIM können Sie sich bis sieben Tage nach der Ausstrahlung bei Arte in der "Art +7"-Mediathek anschauen!

Und eine Interview mit Gideon Raff auf der Arte-Website gibt es HIER.

zyw