28.02.2013

TV-TIPP: SHAHIDA - ALLAHS BRÄUTE

Weiblicher Selbstmordterrorismus ist nicht zuletzt deshalb so verstörend, weil er gegen (über-)kulturell tief verankerte Vorstellungsmuster von der schützenden, bewahrenden Mütterlichkeit oder aber allgemein einer in Gewaltkonflikten primär bedroht geltenden, zu beschützenden und als Unterpfand gehandelten Weiblichkeit radikal abweicht. Auch Filmerzählungen wie THEEVIRAVAATHI machen sich diese zu Nutze, um sie einem Bombenaktivismus diametral, konkurrierend gegenüberzusetzen.


Entsprechend eindringlich und empfehlenswert ist Natalie Assoulines Dokumentarfilm SHAHIDA - ALLAHS BRÄUTE über designierte palästinensische weibliche Suicide Bombers (oder in solche Anschläge involvierte), die ihre Tat nicht ausführten, nicht ausführen konnten. Mit der israelisch-jüdischen Filmemacherin reden die nun im HaSharon-Gefängnis über ihre Gefühle, ihre Beweggründe - und ermöglichen so eine Einsicht in jene innere Zerrissenheit, die in welcher Form auch immer jener Tat vorausgeht, die dann auch den eigenen zusammen mit fremden Körpern zerfetzen soll.

3sat zeigt  SHAHIDA - ALLAHS BRÄUTE. als Auftakt der Themenfilmreihe "Frauen im Islam" am Sonntag, den 3. März um 20.15 Uhr. Weitere Informationen finden Sie HIER.

24.02.2013

Zu ZERO DARK THIRTY (II)

Auf den Hund gekommen – Geheimnisverrat in ZERO DARK THIRTY oder: Von der Errettung der äußeren (Antiterroreinsatz-) Wirklichkeit.

Heute Nacht werden in Hollywood die Academy Awards – die „Oscars“ – vergeben und unter den Nominierten ist auch ZERO DARK THIRTY. Höchste Zeit also, mich hier noch ein bisschen mit dem Film, in dem es um die Suche und schließlich die Eliminierung von Osama bin Laden im pakistanischen Abbottabad geht, zu befassen. Denn vielleicht bekommt Kathryn Bigelows und Mark Boal eine der Goldtrophäen, etwa die für das beste Drehbuch, vielleicht aber auch nicht, und in beiden Fällen dürfte die Entscheidung als eine zumindest auch politische interpretiert werden.
ZERO DARK THIRTY war und ist nicht unumstritten. Zweierlei Kerndebatten lassen sich ausmachen: die des Geheimdienstverrats. Allerdings bietet der englischsprachige Wikipedia-Eintrag zu ZERO DARK THIRY bereits einen guten Aufriss (samt Quellenverlinkung) der Kontroversen, weshalb ich was die dahin gehende Fakten, Abläufe und Wortbeiträge betrifft, schlicht darauf verweisen möchte und mich auf allgemeinere Bemerkungen beschränke.

Zunächst und heute hier: die Frage des Geheimnisverrats. Die Obama-Administration habe den Filmemachern Informationen zukommen lassen, die unter Verschluss stünden – so lautete einer der politisch konnotierten Klagen (schließlich wurde dem Film vorgeworfen, Wahlkampfbeihilfe für den nun zum US-Präsidenten wiedergewählten Barack Obama darzustellen). Diese Anklage ist nun einmal deswegen nicht allzu ernst zu nehmen, weil das Gros der Informationen – wiebereits in meinem ersten Beitrag zu ZDT erwähnt – sich aus anderen öffentlichen Quellen über die Arbeit der CIA und der finalen Nacht Anfang 2012 gewinnen lässt. Mark Boal mag sicher nicht zuletzt dank seine Arbeit als Journalist über Kontakte zu Geheimdienstkreisen verfügen. Jenseits der Marketing-Kitzels, den solche – gerne im Umfeld von Filmstarts gestreuter – „Quellen“ haben mögen, dürfte sie von keiner allzu großen Bedeutung für das Ergebnis, also dem fertigen Film mit seiner Dramaturgie, der Handlung, den Bildern und Figuren sein.

Allerdings bringt uns das zur interessanten Frage: Welcher Art von Geheiminformation können Spielfilmen eigentlich überhaupt verraten?

Zunächst sind ja Filme wie ZERO DARK THIRTY von besonderem Reiz sowohl fürs Publikum wie für die Medienwissenschaft und Ideologiekritik, wenn sie verheißen oder versprechen, einen wie auch immer gearteten Einblick in ansonsten allenfalls investigativ-journalistisch und dokumentaristisch aufbereitete Ereignisse und Abläufe spezieller und allgemeiner Natur zu bieten. Im Falle von ZDT eben die Arbeit von Geheimagenten, die Entscheidungen (und Entscheidungsabläufe) in der CIA und im Pentagon im Falle bin Laden, die klandestine Arbeit von Elite- und Kommandosoldaten, die (oder: eine) Folterrealität im „Krieg gegen den Terrorismus“ usw.

ZERO DARK THIRTY ist folglich insofern als einflussreich zu begreifen, als er uns nicht zuletzt bildhafte Eindrücke liefert, die wir zuvor nicht hatten und sonst auch so nicht bekommen würden. Selbst als Fiktion hat ein solcher Film dabei das Potenzial, die realitätsbezogene Vorstellungslücken zu besetzen, die andere Texte offenlassen, und über sie die weiterführende mentale Modelle zu prägen, die wir uns bilden. Medienwissenschaftliche Untersuchungen haben übrigens gezeigt, dass wir ohnehin dazu tendieren, die Quelle der Information gerade in solchen Fällen, in denen nicht unsere unmittelbare Lebenswirklichkeit tangiert ist, zu vergessen. Weshalb auch fiktionale Inhalte „wirklichkeitsbildende“ oder „-formende“ Wirkungen haben können.       

Das heißt also, dass es gut möglich ist – wenn nicht gar wahrscheinlich –, dass Sie nach der Sichtung von ZERO DARK THIRTY, wenn die Rede auf Osama bin Ladens Tod kommt, Filmbilder zur geistigen Illustration heraufbeschwören. Umso mehr, als Sie noch die Information (oder Behauptung) abgespeichert haben, dass der Film überaus authentisch sei.

Das hat etwas Bedrohliches: Fiktion, die die Realität okkupiert, sie auszulöschen droht. Man kann es aber auch umgekehrt sehen: das fiktionale ausgestaltende Filmerzählen wird mit seiner Ästhetik Opfer der Faktizität und Authentizität. Nicht, dass ZERO DARK THIRY sich künstlerisch einem tyrannischen Diktat des Hyperrealismus und des Belegten beugen würde – im Gegenteil, der Film besticht gerade, weil er seinen stilistisch Eigenes und Eigenständiges mit dem Dokumentaristischen seines Sujets so wunderbar in Übereinklang bringt.

Wenn man aber Mark Bowens Insider-Bericht über die Arbeitsweise der Navy SEALS allgemein und in der speziellen Nacht liest, stechen bestimmte Details in ZERO DARK THIRTY besonders heraus, und es weicht der Eindruck des kenntnisreichen (weil nicht auserklärten) Realismus dem der Faktenbebilderung, der etwas zumindest so Bemühtes anhaftete, wie es museale Illustrationen und Rekonstruktionen in ihren Kleinigkeiten der szenarischen Ausgestaltung aufweisen. Vielleicht ist das weniger eine Frage des Werkes oder des Autors als der Rezeption, aber was macht das schon im Endeffekt?

Ein paar Beispiele: In No Easy Day: The Firsthand Account of the Mission that Killed Osama bin Laden (dt.: Mission erfüllt. Navy Seals im Einsatz – Wie wir Osama bin Laden aufspürten und zur Strecke brachten) beschreibt Bowen alias Bissonette allerlei Details, die ZERO DARK THIRTY ebenfalls präsentiert, bebildert, nachzeichnet. Das reicht von der Senke, in der die SEALS sich im afghanischen Militärlager einen eigenen Partybereich mit alten Sofas eingerichtet haben, über die vier (statt typischen zwei) Objektive des Nachtsichtgeräts (dank der das Sichtfeld stark erweitert wird) – bis hin zum Hund.

Der Hund. In Bowens Buch wird beschrieben, welch wertvolles „Team-Mitglied“ solch ein Tier im Einsatz sein kann. Etwa bei der Hatz nach Taliban-Kämpfern, sei es, dass der Hund der Fährte der fliehenden Militanten folgen kann, sei es, dass er im unübersichtlichen Terrain (was schon ein einfacher Acker sein kann) entsprechende Heckenschützen wittert und seine menschlichen Kameraden warnt.

Wenn nun in ZERO DARK THIRTY die Kommandotruppe solch einen vierbeinigen Kameraden (ein deutscher Schäferhund, glaube ich) dabei hat, ist und wird das nicht erklärt, ist ja nur eine Kleinigkeit, ebenso wie vieles andere, das Filme nun mal so „herzeigen“ (von der Funktionsweise von Fahrstühlen, die Protagonisten benutzen bis zu den sozialen Konventionen, gegen die sie verstoßen und damit „Komödie“ machen).

So ein Hund wirkt nun entweder authentisch (über die Art des eingeflossenen Wissens, das sich in Ausstattung etc. niederschlägt – durchaus im Sinne einer Kracauer’schen Errettung der äußeren Wirklichkeit). Oder eben – weiß man um die Quellenlage, auf die sich Drehbuchautoren, Regisseure, Production Designer etc. stützen, und hat sie noch besonders dahingehend präsent – es drängt sich das Detail als Ausschmückung um seiner selbst willen, zugleich als Verweis oder wenigstens Anklang an die textuellen Informationsvorlagen, in den Vordergrund. Es springt einen an, der Hund.

Ob es sich nun aber um das kurze Auftauchen eines Vierbeiners auf der Leinwand handelt (dem echten Köter, einem Labrador, der beim Osama-Einsatzdabei war, hat Präsident Obama übrigens die Ehre erwiesen) oder sonst was: Wir können nie sicher sein, wo die kreative Freiheit zuschlägt. Können wir ZERO DARK THIRTY also als Gewährsquelle heranziehen, wenn es darum geht, zu beurteilen, wie in Pakistan die CIA untergebracht ist oder deren Angestellte in den spärlichen, kläglichen Stunden des Privatdaseins? Ist eine „Blacksite“, wo der Geheimdienst im Verbund mit alliierten Kräften Informationen aus unglückseligen Nicht-Kombattanten extrahiert, neben jenen im Nahen und Mittleren Osten, nun in ZDT in Polen verortet, weil Boal und Bigelow den Finger über eine Karte der Koalition der Willigen kreisen ließen und sich ein Land willkürlich herauspickten – oder weil es dort tatsächlich solch ein Loch in der Topografie des Rechts, der Moral und der exekutiven wie medialen Kontrolle gab?    

Die Berechnung eines filmfiktionalen Geheimnisverrats wird aber noch komplexer, führt man den Konkretationsgrad als Variable in die Formel ein. Welche Information, auf welchem Niveau und hinsichtlich welchem Aspekt ist wie und in welcher Hinsicht erhellend, verräterisch, ein Politikum oder taktisches oder strategisches „Leck“? Dass es Blacksites, quasi extraterritoriale, outgesourcte Verhör- und Foltermanufakturen gab, das war und ist keine Neuigkeit (oder wenn doch, für wen, mit welchen Folgen?). Spielt es eine Rolle, in welchen Land sie in ZERO DARK THIRTY konkret angesiedelt sind? Andererseits: Was in dem Film ist versehen mit einem Realitätsaussageanspruch, was nur fiktionale Erfindung? Hat der Botschafter von Polen – anders gesagt – Protest in Los Angeles eingelegt, weil sein Land als Ort geheimen Schindludertums für eine Szene herhielt – oder aber in Washington, D.C. bzw. Langley, Virgina, weil dort die freundschaftliche Unterstützung nicht genug geheimgehalten wurde?

Die entsprechenden Äußerungen zu ZERO DARK THIRTY sind nur ein weiterer Beispielfall eines (produktiven) geheimdienstlichen (und entsprechend theoretischen) Widerspruchs: Erst durch den aufschreienden Verweis, DASS diese oder jenes Informationen seien, die tunlichst im Verborgenen zu verbleiben hätten, werden sie erst zur Indiskretion. Womit natürlich auch prima auf falsche Fährten führen kann … 

In diesem Sinne gibt es nur zwei Arten von Geheimdienstverrat, die im Kontext von ZERO DARK THIRTY eine wirkliche Rolle spielen.

Eine, die – praktisch – belanglos ist, insofern das brisante Wissen und die heiklen Informationsgehalte sang- und klanglos zwischen dem Ausgedachten, aufgrund von künstlerischen Intentionen und  sachlichen Umständen (sah die CIA-Zentrale in Islamabad wirklich so aus oder nahm man einfach ein verfügbares Gebäude für den Dreh, das dem Flair am Nächsten kam?) untergeht und dabei (bzw.: dort) besser bewahrt und unanfechtbarer ist als im tollsten Tresor hinter einem repräsentativen staatstragenden Ölgemälde.     

Und eine Art von Verrat, die nicht einzelne narrative Züge und Zusammenhänge oder bildhafte bzw. visuelle Inhalte betrifft, sondern größere, abstraktere, ideologische Erkenntnisse, wie sie – wert- und weltbildgebunden – weitaus gefährlicher sein können. Selbst und gerade wenn es „Geheimnisse“ betrifft, deren Einsicht nicht oder nur indirekt einklagbar und zu verteidigen sind.

Was uns an den zweiten großen kontroversen Punkt von ZERO DARK THIRTY bringt: den der Effizienzdarstellung von Folter. Wobei eher noch gestritten werden sollte über die Effizienz von Folterdarstellungen. Aber dazu ein andermal mehr.

zyw