30.08.2011

CfP: Islamismus und Extremismusforschung

Hier ein Call for Paper des DVPW-Arbeitskreis Vergleichende Extremismus- und Diktaturforschung" der Universität Bonn:

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Islamistische Ideologien als Erscheinungsformen ‚politischer Religion‘
Zur Problematik und Relevanz des sozialreligiösen Ansatzes der Extremismus- und Totalitarismusforschung nach Nine-Eleven

Samstag, 4. Februar 2012, Universität Bonn


Im Lichte des sozialreligiösen Ansatzes der klassischen Totalitarismustheorie (Voegelin, Aron) kann der revolutionäre Islamismus als eine moderne Form des ‚Totalitarismus‘ im Sinne einer ‚politischen (Ersatz-)Religion‘ verstanden werden. An diesem Ansatz orientierte Analysen zum Islamismus sind zwar vorhanden (H. Hansen / P. Kainz, G. Bohmann, M.J. Prutsch, E. Gentile, M. Burleigh), bisher aber – gerade im Vergleich zum Ansatz des ‚Fundamentalismus‘ (M. Riesebrodt) – relativ schwach rezipiert und diskutiert worden.

Der Ansatz der ‚politischen Religion‘ geht in Anwendung auf den Islamismus von zwei zentralen Prämissen aus: Der Islamismus steht erstens – zumindest in seinen radikalen Ausprägungen – nicht in geistiger Verwandtschaft mit den traditionalen Geistreligionen (inkl. des Islam), sondern viel eher mit den totalitären Ideologien des Westens. Ein Vergleich des Marxismus-Leninismus, Faschismus und Nationalsozialismus mit den Schriften von S. Qutb beispielsweise zeigt, dass alle untersuchten Ideologien gleichen formalen Denkmustern folgen und sich als kosmologisch verabsolutierte, d.h. jegliche Spannung zwischen Weltimmanenz und Welttranszendenz auflösende Erlösungsversprechen lesen lassen. Zweitens weisen die Ideologien auch in ihren Ursachen Ähnlichkeiten auf: Sie entspringen allesamt einem Umfeld der Bedrohung einer althergebrachten religiösen unité, woraus eine aggressive Form der Sinnsuche, insbesondere nicht liberal sozialisierter und / oder zivilreligiös ausreichend stabilisierter, d.h. in gewisser Weise ‚unreifer‘ Populationen oder Gesellschaften resultiert. In den christlich geprägten Gesellschaften im 20. Jahrhundert kreierten aktionsfähige, demographisch im Übermaße zur Verfügung stehende jugendliche Sinnsucher ihre ‚Ersatzreligionen‘ demnach in gleicher Weise wie es nun – im Rahmen einer ‚apokalyptischen Matrix‘ (Trimondi) junge Männer primär muslimischen Hintergrunds tun (aber nicht nur, s. den jüngsten Fall Breivik), zumal die hinter der religiösen Entzauberung stehenden Modernisierungsprozesse nun, auf dem Höhepunkt der ‚Globalisierung‘ nach dem Ende der bipolaren Weltordnung, vollends auf die islamische Welt übergreifen.

Vor diesem Hintergrund wäre einerseits nach der ideologietheoretischen, andererseits historischen Stimmigkeit des sozialreligiösen Ansatzes der Extremismus- und Totalitarismusforschung zu fragen: Daher sind für die Tagung erstens Beitragsvorschläge erwünscht, in denen der besagte Ansatz anhand exemplarischer Fälle und/oder Quellen des Islamismus kritisch überprüft, problematisiert und gegebenenfalls korrigiert oder weiterentwickelt wird. Die Problematisierung kann auch explizit im Vergleich mit dem ‚Fundamentalismus‘-Ansatz erfolgen, wobei es in diesem Falle wert wäre zu fragen, ob und inwieweit der sozialreligiöse Totalitarismus-Ansatz die in der Fachdiskussion am Begriff des ‚Fundamentalismus‘ häufig monierten terminologischen Unklarheiten im Verhältnis zum Begriff des ‚Traditionalismus‘ (M.-R. Scharinger) beseitigen kann. Zweitens wären Vorträge willkommen, in welchen die Parallelisierung der revolutionären Spielarten des Islamismus mit den totalitären Ideologien des 20. Jahrhunderts im historischen Vergleich hinterfragt wird: Könnte es beispielweise sein, dass – angesichts der Tatsache, dass Modernisierungsprozesse im islamischen Kulturraum nicht wie in den westlichen Gesellschaften des 20. Jahrhunderts ‚endemischen‘ Charakter besitzen – sich im emotionalen Haushalt der islamistischen Extremisten primär ohnmachtsbedingte Zorn- und Rachegefühle mischen (P. Sloterdijk), so dass die ideologischen Potentiale des islamistischen Neo-Totalitarismus gerade daher als viel schwächer eingeschätzt werden müssten als die Potentiale der Totalitarismen des vergangenen Jahrhunderts? Eine weitere Frage könnte – unter Rückgriff auf islamwissenschaftliche und theologische Arbeiten – lauten, ob die klassischen Annahmen Voegelins auf den Islam übertragbar sind, wonach herkömmliche geistreligiöse Vorstellungen, solange sie – wie im Falle des kirchlich geprägten Christentums – die Spannung zwischen Immanenz und Transzendenz aufrechterhalten, keine ‚politischen Religionen‘ im Sinne totalitärer Ideologien hervorrufen können und sich diesen sogar, ihrem Wahrheitsverständnis nach, frontal entgegenstellen müssen.

Vorschläge (maximal zweiseitige Abstracts) schicken Sie bitte bis zum 30. November 2011 an: Dr. Lazaros Miliopoulos (miliopoulos@uni-bonn.de)