23.11.2010

Medienzensur angesichts von Terrorbedrohung?

Die Forderung ist unvermeidlich:

Die Presse muss verpflichtet werden, sich zurückzuhalten, wenn die Gefährdungslage wie jetzt hoch ist“, zitiert Spiegel Online den CDU-Mann und Vorsitzendes des Rechtsausschusses des Bundestages, Siegfried Kauder.

Erwartungsgemäß hielt der Deutsche Journalistenverband dagegen. Doch Kauder ist nicht der erste und die Forderung an sich nicht neu.

Die Medienwissenschaftlerin Shannon A. Bowen, Associate Professor der S.I. Newhouse School of Public Communications der Syracuse University, New York ist schon mehrfach zu dem Schluss gekommen [1], dass Selbstzensur Terroristen davon abhalten kann, in eigener Sache Agenda-Setting zu betreiben. Denn egal, wie Medien berichten, tragen sie doch zumindest die „Aufmerksamkeitsbotschaft“ weiter.

Wenn Kauder argumentiert „Wenn die Presse darüber berichtet, welche Orte besonders gefährdet sind, dann kann das unter Umständen ein Anreiz für Terroristen sein“ (zit. n. SPON), ist das freilich wenig überzeugend. Ersten kann man davon ausgehen, dass Terroristen auch ohne „Hilfe“ der Medien in der Lage sind, besonders gefährdete (z.B. symbolische) Orte zu finden. Zweitens können und werden diese Orte – ob mit Meldung oder ohne – in Gefahrenzeiten besonders geschützt (wie auch generell markante Sehenswürdigkeiten, in den USA z.B. das Hollywood-Zeichen oder die Golden Gate Bridge in San Francisco). Und drittens kann ein solcher Hinweis in den Medien Terroristen gar davon abhalten, diese Orte auszusuchen, weil sie ein Fokussieren dieser potentiellen Stellen nun erwarten können.

Der Grundgedanke hinter Kauders Argument ist so falsch aber nicht: Jenseits der Tagesberichterstattung können Terroristen (Stichwort „Risikokommunikation“) auf besondere Terrorismuspotentiale hingewiesen werden (wie, gemäß einer „erbeuteten“ Festplatte bzw. einer E-Mail darauf al-Qaida Biowaffen für zumindest für eine weitere Beschäftigung damit interessant hielt, weil der Westen so ein Gewese darum machte).

Ein anderes mögliches Risiko der Terrorismusberichterstattung ist jedoch die „Ansteckungsgefahr“. Mit „Contagion“ ist gemeint, dass sich Extremisten durch die Taten von Terroristen ermutigt oder gar gedrängt fühlen könnten. Dies kann hinsichtlich der Mittel und Methoden (tactical contagion) oder überhaupt zu einem Gewalt-„Auftritt“ ermuntert werden (inspirational contagion), z.B. um sich gegen konkurrierende Gruppen zu behaupten und ihre Schlagkraft und Entschlossenheit zu demonstrieren.

Brigitte L. Nacos, Expertin im Bereich Terrorismus und Medien, kommt zu dem Schluss:

In conclusion, when it comes to international and domestic terrorism, various kinds of media figure quite prominently in both tactical and inspirational contagion. While the Internet has moved center-stage in this respect during the last decade, the targets of terrorism have not been able to effectively counter the mass-mediated virus of this form of political violence.“ [2]

Also besser doch eine „Verpflichtung zur Selbstzensur“?

... Fortsetzung folgt.

(zyw)


[1] z.B.:
Bowen, Shannon A. (2005): Communication Ethics in the Wake of Terrorism. In: O'Hair, H. Dan / Heath, Robert L. / Ledlow Gerald R. (Hg.): Community Prepardness and Responses to Terrorism. Bd. 3: Communication and Media. Westport, CT: Praeger, S. 63 – 95.

[2]
Nacos, Brigitte L. (2009): Revisiting the Contagion Hypothesis: Terrorism, News Coverage, and Copycat Attacks. In: Perspectives on Terrorism, 3. Jg., Nr. 3, S. 3-13. Online: hier.

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Hasnain Kazim aus Islamabad berichtet HIER ausführlich über den terrorismusunterstützenden Paten aus Indien.

Wer sich genau für die konzeptionellen Herausforderung, Terrorismus von organisierter Kriminalität zu unterscheiden in genau diesem Fall interessiert, dem sei empfohlen:

Clarke, Ryan / Lee, Stuart (2008): The PIRA, D-Company, and the Crime-Terror Nexus. In: Terrorism and Political Violence, 20. Jg., Nr. 3, S. 376 – 395.

(zyw)