17.11.2009

Dokumentarfilm: DIE ANWÄLTE

Wer sich nicht verändert...


DIE ANWÄLTE – EINE DEUTSCHE GESCHICHTE
B + R: Birgit Schulz; Dramaturgische Beratung: Heiner Stadler; P: Jörg Kobel; K: Isabelle Casez, Axel Schneppat; Ton: Pascal Capitolin, Jens Krähnke; Schnitt: Katharina Schmidt; Musik: Pluramon
Filmverleih: Realfiction
Kinostart: 19.11.2009

Drei Anwälte, deren Lebenswege und Weltvorstellungen sich von einem Punkt aus in gänzlich andere Richtungen entwickelt haben – oder nicht. Darum geht es in Birgit Schulz' Dokumentarfilm DIE ANWÄLTE. Und diese drei sind nicht irgendwer: das „Gewissen der Grünen“-MdB Hans-Christian Ströbele, Ex-Innenminister Otto Schily und zum rechten, verurteilten Holocaust-Leugner mutierten Horst Mahler stehen im Mittelpunkt, und ein Foto von Anfang der 1970er zeigen sie gemeinsam im Gerichtssaal: Mahler, damals noch linksgerichtet, auf der Anklagebank, Ströbele und Schily als seine Anwälte.

Der Film schlägt den Bogen von ihrer (gemeinsamen) Zeit als Justitiare der „Außerparlamentarischen Opposition“ über Engagement für die RAF-Angeklagten, bzw. in Mahlers Fall „Mitarbeit“ im Untergrund bis in die Gegenwart.



Alle drei hat Schulz in einem Gerichtsaal vor die Kamera holen können (was besonders bei Schily nicht einfach war) und dort Auskunft geben lassen, jeden einzeln – Ströbele und Schily weigerten sich strickt, sich mit ihrem ehemaligen Mandanten Mahler (Schily: „Horst ist eine Tragödie“) in einem Raum aufzuhalten.

Allerdings sind die aktuellen Aussagen der drei nur punktuell erhellend; gar nicht mal weil sie als Selbstdarsteller agieren, sondern – was etwas anderes ist – Schauspieler in eigener Sache sind, die ihren Selbstbild-Part zu sehr verinnerlicht haben, um aus der Rolle zu fallen und mehr zu liefern, als man auch sonst von ihnen bekommt. Gerade für die bewegte gemeinsame Zeit.



Da kommentiert Schily das Vorgehen des Staates in den 70ern, doch ein Umschnitt zeigt, dass es nicht der Schily der Gegenwart ist, sondern der von einst, jünger, aus dem Archiv. Generell ist der Film vordergründig wenig ergiebig, wenn es um die Zeit der Studentenproteste oder der RAF geht. Vielleicht auch, weil man zu gerne mehr den damaligen Argumentationen der streitbaren Juristen zuhören würde, in den vorzüglich ausgewählten und fein montierten Erinnerungsdokumenten schwelgen.

Doch zum Auftakt bietet der Film einen erklärenden Off-Text (ansonsten wird nichts mehr kommentiert), einen schönen Kranschwenk, ansonsten die üblichen Erzählungen von brutaler Polizei und Springer-Protest, Erinnerungen an den Tod Benno Ohnesorgs - eigentlich müssten die drei Ex-Anwälte nur noch vor schwarzem Hintergrund sitzen, schon hätte man eine der viel gescholtenen ZDF-Dokuproduktionen. Natürlich: Welche Rolle Mahler in jener Zeit spielte, wie Ströbele und später Schily mit ihm zusammenfanden, ist interessant, bietet aber – zunächst - nur einen weiteren Facettenblick auf eine 1970er-Narrative ohne sie herauszufordern. Selbst die Musik von Pluramon verbindet hier stilistisch Gestern und Heute, wirkt aber recht dramatisch, wie eine fast reißerische Bedeutungszuschreibung, die etwas Fiktionalisierendes hat (dies ändert sich während des Films).

Der wahre Wert von DIE ANWÄLTE, das, was aus aus „ihnen“ wirklich „eine deutsche Geschichte“ und mehr macht, liefert letztlich der Bogen, der geschlagen wird. Auch und gerade, wenn es um Terrorismus geht. Die Übermacht und Aufrüstung des Staates gegen die linksextremistische Bedrohung wird in Szene gesetzt, von den Ausschnitten, von den Protagonisten im Rückblick. Stammheim, so Ströbele: Eine in Beton gegossene Vorverurteilung. Dass sie, sein Mandant (darunter Andreas Baader) und er abgehört würden, tat er zunächst als Paranoia ab. Nicht lange danach musste der Strafverteidiger, der noch vor dem Prozess ausgeschlossen und später verurteilt wurde, erfahren, dass „der Staat“ tatsächlich Mikrofone installiert hatte.

Auch Schily wird per Tondokument als streithafter Jurist in einer Auseinandersetzung mit den Stammheimprozessvorsitzenden präsentiert. Der „RAF-Anwalt“ - eigentlich zu dumm, um es zu kommentieren. Schily heute: Es waren Mandanten. Er war nicht Syndikus der RAF. Und jemand, der einen Mörder vertritt, sei schließlich auch kein „Mörder-Anwalt“.

Doch die Zeit und der Film schreitet weiter: Mahler liest im Knast Hegel (Schily hat ihm die Gesamtausgabe besorgt), wendet sich – in den Widersprüchen liegt die Wahrheit – dem Rechtsradikalismus zu. Einen Bruch sieht er darin nicht, eher ein Gleiten. Er könnte auch sagen: Eine bizarre „Folgerichtigkeit“.

Umwelt- und Friedensbewegung bringen mehr Leute auf die Straße als die 68er und die Grünen ins Parlament. Ströbele wechselt von der SPD zu den Grünen (was der Film nicht erwähnt), Schily später von den Grünen zur SPD. Ströbele protestiert – auch gegen die Verfahrensregeln des Bundestages - gegen den Einsatz in Kosovo; Schily übernimmt das Innenministerium. Und verteidigt in einer hochemotionalen Rede, bei der auf die Nazi-Opfer seiner Familie und den Schwiegervater, einem jüdischen Partisanen zu sprechen kommt, eben dieses militärische Engagement. Das ergibt eine Szene, die die Begrenztheit der Interview-Situation von DIE ANWÄLTE mit den medial gepanzerten Protagonisten besonders vor Augen führt.



Dann kommt der 11. September. Schily, der sich selbst mit Polizeihelm und erhobenem Schlagstock ablichten lässt, gibt den Hardliner. Der Schutz der Bürger hat Priorität vor der Überwachungsfreiheit. Passt das zusammen, mit dem linken Anwalt von damals? Der Film und sein Material präsentiert den Widerspruch, ohne dabei aufdringlich zu sein. Schily beruft sich auf Grundsätzlichkeit, das Durchsetzen des bestehenden Rechts, damals in den 70ern. Doch der zweite Teil seiner Argumentation verliert sich im Allgemeineren, einer Ethik, dem Schutz des Lebens. Überhaupt gilt ihm freilich: „Wer sich nicht verändert, ist ein Idiot.“

DIE ANWÄLTE ist dahingehend vielschichtiger, als es auf den ersten Blick scheint, denn tatsächlich hat der Terrorismus der RAF mit dem heutigen von al-Qaeda und Co. wenig gemein, und Schilys Verändern ist dazu eine Analogie: Das Verteidigen und die Durchsetzung von Recht und Gerechtigkeit ist etwas fundamental anderes, als die Formung, die Ausgestaltung und Bewertung von Rechtsgrundsätzen, auch und gerade bei der Terrorgesetzgebung. Schulz entlarvt mit ihrem Film über die biographische Ebene die Widersprüche der politischen, gesellschaftlichen und historischen Sicht als scheinbar oder zumindest konstruiert – über Etikettierungen, die sinnlos werden, weil sich das, was sie bezeichnen, wandelt. So wenig wie der linke Terrorismus des Innen (der einer Selbstversicherung und sozialen Standortbestimmung folgte) kaum durch einen transnationalen Terrorismus von „Außen“ argumentativ ersetzt werden kann, ist Schily nicht kein Idiot, sondern als Innenminister eben schlicht keine Anwalt mehr.

Der Film entlässt einen dahingehend mit einer wohltuenden Unbefriedigtheit: Wer der drei hat denn nun „Recht“? Sicher nicht der Verblender / Verblendete Mahler, aber Ströbele vielleicht? Nur weil dieser sich „treu“ geblieben ist, als ein Wert an sich? Keinem der drei – das macht der Film klar – mangelt es an Überzeugung, damals wie heute. Das ist das Dilemma, das Dilemma einer menschlichen, (eigen-) ideologischen und geschichtlichen Entwicklung.

Vielleicht sind die drei Anwälte nur wieder dort angekommen, wo sie aufgebrochen sind, noch vor dem vereinheitlichenden Moment, der Politisierung Ende der 1960er. Schily, der Dirigent werden wollte, im Elternhaus mit der natürlichen Autorität seines Direktoren-Vaters. Ströbele in seiner Jugend, wo beim Munitionsammeln ein Freund den Tod fand. Und Mahler?



Der Vorteil eines Filmfestivals: DIE ANWÄLTE lief am 16. November auf dem exground Filmfestival in Wiesbaden. Birgit Schulz konnte nach der Vorführung Fragen beantworten, ihren Film ergänzen, Informationen nachreichen. So z.B. dass Mahlers Vater, ein überzeugter Nazi, Selbstmord beging weil das „Dritte Reich“ untergegangen war. Dass Mahler, was im Film zu kurz kommt, mit seinem Rechtsschwenk vielleicht im Alter (und weltsichtigen Unbehaustheit) die Familienideale nachlebt und damit verteidigt. Dass er stets schon ein überaus richtungswechselndes Leben geführt hat, als Mitglied der SPD, der SED, als Marxist, jetzt als Rechter – immer in denkbarer Gegenposition zum politischen System.

Das mag billiger Biographismus sein, doch es erklärt genausoviel oder -wenig wie alles andere das Auseinanderdriften der drei politischen Lebensläufe, die für sich genommen auch nichts aussagen, insofern Lebensläufe aus dem Kopf herausführen mögen, seltenst aber hinein.

DIE ANWÄLTE präsentiert allerdings ein zweites überaus spannendes Thema: das der Juristerei selbst. Vielleicht, so Schulz, sei Mahler der ideologische Wechsel so leicht gefallen, weil er auf einem sehr hohen abstrakten Grad denke. Tatsächlich ist der Film über sein Protagonisten das Ausschnittsporträt eines eigenen, kommunikativen Systems und dessen Wahrnehmungsebene. Die Zeit der RAF als Rechtsgeschichte – da schimmert etwas durch, das Ulrich Kriest als die kommunikativen Verhältnisse bezeichnet hat, die zur Gründung zur RAF geführt haben und die filmisch nicht oder nur sehr schwer zu handhaben sind. Auch die Post-9/11-Welt ist aus und in der eigenen von Gesetzen, Recht und Gerechtigkeit strukturierten Wirklichkeit (heraus) eine andere als die der Kultur, der Medien mit ihren (Bild-) Erzählungen, der der geschichtlichen und sozialen Verläufe oder der politischen Zwangsläufigkeiten.

Das Recht ist dementsprechend nicht nur eine Waffe bzw. ein Instrument der wie auch immer gearteten Verteidigung. Es ist auch ein epistomologisches, ein distanzierendes Mittel in Zeiten der Undurchsichtigkeit und Vermischung.

Als Anwalt, so argumentierte Mahler einst, müsse man zur Verteidigung der Mandanten auch das Recht haben, deren Motive und Überzeugungen anzuführen. Ihre Ideale zu teilen, sei geboten. Das heiße aber nicht, auch die dafür aufgebrachten und eingesetzten Mittel gutzuheißen. Ein kleiner, ein feiner, vor allem aber klarer Unterschied.

Dass sich Ströbele und Schily, aber auch der rückwärtsgewandte Mahler, einander nicht mehr „verstehen“, liegt nicht zuletzt daran, dass sie keine „Anwälte“ sind, d.h.: dass sie die gemeinsame Verständigungsgrundlage aufgegeben haben.


Bernd Zywietz